Hallo zusammen und herzlich willkommen zu meinem Beitrag, der dir zeigen wird, welchen enormen Einfluss dein Stresslevel auf dein Ernährungsverhalten und damit einhergehend auf deinen Körper hat. Diese Erkenntnisse werden deine Sicht auf den Zusammenhang zwischen Stress und Ernährung für immer verändern! Legen wir also los!
Unser Gehirn ist schon faszinierend, oder? Ganz selbstverständlich lösen wir mit diesem Organ komplexe Probleme, erinnern uns an kostbare Momente oder verlieren uns in Tagträumen. Von Kindesbeinen an erlaubt es uns, Stück für Stück eine Persönlichkeit zu entwickeln, die letztlich ein Puzzle aus all dem ist, was wir von anderen Menschen gelernt und mit diesen erlebt haben. Unser Gehirn macht uns glücklich und stolz: Zum Beispiel, wenn wir mal wieder ein super gesundes und leckeres Essen zubereitet haben oder ein erfolgreiches Workout hinter uns haben. Manchmal steht es uns aber auch im Weg oder treibt uns in den Wahnsinn: Zum Beispiel, wenn unsere Gedanken uns davon abhalten Großes zu wagen oder sie dauerhaft um das gleiche schier unlösbare Problem kreisen – wir uns regelrecht „denken lassen“. Seit Jahrhunderten versuchen wir besser zu verstehen, was in unseren Köpfen vorgeht – und doch sind wir noch am Anfang, wenn es darum geht die unzähligen Vorgänge und Zusammenhänge in diesem hochkomplexen Organ zu begreifen.
Wieso ist unser Gehirn egoistisch?
Um letztlich zu verstehen, welche negativen Auswirkungen chronischer Stress haben kann, fangen wir ganz vorn an und werfen zunächst einen näheren Blick auf die Energieversorgung des menschlichen Gehirns. Es steht – und das mag wenig überraschen – auf Platz eins, wenn es um die Priorität der Zuteilung der Energie geht. Unser Gehirn verbraucht durchschnittlich 20 Prozent der im Organismus vorhandenen Energie, obwohl es nur etwa 2 Prozent der Masse eines Menschen ausmacht. Hierbei nimmt es über 60 Prozent der zirkulierenden Blutglucose auf, das sind ca. 130g täglich. Unter akutem bzw. chronischem Stress ist dieser Anteil sogar noch deutlich höher!
Neben Glucose kann unser Gehirn übrigens auch aus den sogenannten Ketonkörpern, die in der Leber aus Fettsäuren gebildet werden, Energie gewinnen. Denn diese dürfen, wie Glucose, die Blut-Hirn-Schranke passieren. Für gewöhnlich ist ihr Anteil zur Energiegewinnung aber recht niedrig, da wir heutzutage ja (mehr als) genug Kohlenhydrate zu uns nehmen. Die erwähnten Ketonkörper kommen somit nur bei einer konsequenten Low-Carb-Diät bzw. einer ketogenen Diät zum Einsatz. Sollte dem Gehirn während einer solchen Diät tatsächlich noch Energie fehlen, greift die sogenannte Gluconeogenese, mit dessen Hilfe aus Proteinen letztlich Glucose gewonnen wird. Fordert unser Gehirn Energie aus unserem Körper an, nennt man dies im Übrigen Brain-Pull. Ein Mechanismus, der jederzeit dazu führt, dass unsere Kommandozentrale vor allen anderen Organen bedient wird. Diese Fähigkeit des Gehirns, die Energieversorgung des Organismus auf Kosten der anderen Organe zu beeinflussen, um ausreichend mit Energie versorgt zu werden, kann man durchaus als ziemlich egoistisch bezeichnen. Daher wird das Ganze auch als Selfish-Brain-Theory bezeichnet. Diese basiert mittlerweile übrigens auf der experimentellen Evidenz von mehr als 12.000 Publikationen – es gibt also kaum Zweifel am Egoismus unseres Gehirns.
Wie entsteht eigentlich Stress?
Wenn sich unsere Umgebung verändert und unsicher wird, sind wir mit der folgenden entscheidenden Frage konfrontiert: Welche Handlungsoptionen können unser physisches, mentales und soziales Wohlbefinden kurzfristig – und möglichst auch mittel- bis langfristig – sicherstellen? Stress tritt bei den Menschen auf, die diese Frage nicht sicher beantworten können. Untermauert wird diese Definition von Stress durch neueste Ergebnisse aus der Hirnforschung. Denn diese zeigen, dass unser Gehirn grundsätzlich danach strebt, Unsicherheit und Überraschungen zu minimieren. Denn nur in einer dauerhaft sicheren Umgebung nimmt unser Organismus keinen Schaden. Diesen Vorgang nennt man übrigens prädiktive Kodierung. Diese erzeugt genau die Informationen, die es uns erlauben geeignete Vorhersagen (Prädiktionen) über zukünftige Ereignisse zu treffen – und zack … wird die Zukunft vorhersehbar und wir fühlen uns wieder sicher. Wir mögen es eben einfach nicht in Unsicherheit zu leben!
Jeder von Euch, der sich in seinem Leben schon einmal in einer Phase befand, in der vieles noch unklar war, wird das Gefühl von (chronischem) Stress kennen. Ob Unsicherheiten im Job, ein bevorstehender Jobwechsel, finanzielle Unsicherheit oder Probleme in der Beziehung – all diese Dinge machen uns unruhig, versetzen uns sozusagen in einen dauerhaften Alarmzustand. Unser Gehirn reagiert mit einem überwachen (hypervigilanten) Zustand, der mit einer gesteigerten Informationsverarbeitung und einem erhöhten Energiebedarf des Gehirns einhergeht. So verspricht es sich, diese Situation zu lösen, um sich möglichst schnell wieder in Sicherheit zu wissen.
Diesen Sachverhalt verdeutlicht auch Prof. Dr. Klaus Grawe in seiner Forschung. Er beschreibt das Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle als eines der Grundbedürfnisse eines jeden Menschen. In diesem Zusammenhang ist vor allem eines sehr spannend: Es liegt ein schmaler Grat zwischen positiven (noch zu bewältigenden) und negativen (nicht mehr zu bewältigenden) Herausforderungen bzw. Unsicherheiten. Positive Herausforderungen führen dazu, dass das unser Gehirn lernbereiter „gemacht“ wird, das eigene genetische Potenzial entfaltet wird und wir weniger stressanfällig und psychisch gesünder sind. Negative Herausforderungen hingegen führen unter anderem dazu, dass Cortisol freigesetzt wird. Dies schädigt die Nervenendigungen im Cortex und kann so zu einer Löschung von zuvor erworbenen (erfolgreichen) Verhaltensweisen führen. Diesen und weitere negative gehirnschädigende Effekte von Cortisol haben Studien bereits vor langer Zeit gezeigt.
Wie geht unser Gehirn mit Stress um?
Umfangreiche Untersuchungen im Rahmen der Selfish-Brain-Forschung haben gezeigt, dass unser Gehirn zwei Mechanismen entwickeln kann, um mit chronischem Stress umzugehen. Der genutzte Mechanismus ist hierbei sehr stark abhängig von genetischen Voraussetzungen. Denn diese unterteilen uns – in puncto Stress-Reaktion – in zwei Arten von Menschen: Nicht-Habituierende und Habituierende. Diese zwei Typen mit ihren Unterschieden und Gemeinsamkeiten möchte ich Euch auf möglichst einfache Weise kurz beschreiben. Das wird die Art und Weise, wie Ihr andere und Euch selbst seht wesentlich verändern. Es wird Euch ebenfalls einmal mehr klar werden, wieso ein Umfeld, das von Unsicherheit geprägt ist schwerwiegende gesundheitliche Folgen für Euch haben kann. Also unbedingt weiter lesen!
Nicht-Habituierende
Wie oben erwähnt schaltet unser Gehirn in akuten Stress-Situationen in einen überwachen (hypervigilanten) Zustand, in dem es überproportional viel Energie verbraucht. Bei chronischem Stress muss dieser Zustand logischerweise aufrechterhalten werden – das heißt das Gehirn benötigt dauerhaft mehr Energie. Dies kann durch eine Erhöhung des Glukose- und Ketonangebots sowie eine Erhöhung der Blut-Fließgeschwindgkeit im Gehirn erreicht werden. Schön und gut. Und wo liegt hier jetzt das Problem? Nun – diese Maßnahmen bleiben nicht ohne Folgen: Die Erhöhung der Fließgeschwindkeit verursacht arterielle Turbulenzen, die letztlich zu erhöhtem Blutdruck und langfristig zur sogenannten adaptiven-Gefäß-Remodellierung führt, die schließlich Atherosklerose begünstigt.
Weiterhin führt die Erhöhung des Glukose- und Ketonangebots, durch die dominante Energienachfrage des Gehirns (Brain-Pull), zum starken Abbau von subkutanem Fett. Subku-was? Das subkutanes Fett ist schlichtweg das Fett unter unserer Haut, das wir gern überall am Körper haben, um uns warm zu halten. „Ja super! Das will ich doch sowieso loswerden!“ werdet Ihr nun sagen. Tja, leider ist das noch nicht alles. Denn während Eure Arme und Beine dünner werden – nicht zuletzt weil auch Muskulatur abgebaut wird, um den Energiebedarf zu stillen – wird Euer Bauch immer dicker: Das viszerale Bauchfett, das unsere Organe umhüllt, wächst. Wieso das denn jetzt? Nun ja – unser Körper passt sich langfristig an und möchte aufgrund des chronischen Stresses immer eine Art Energie-Depot in der Hinterhand haben, aus dem Ketonkörper als Energielieferant gebildet werden können. So kommt schließlich der klassische Bierbauch zustande. Wobei dieses Phänomen natürlich Frauen genauso wie Männer betrifft. Es erklärt unter anderem auch, warum recht schlanke Menschen, die chronischem Stress ausgesetzt sind und in Folge einen mittelgroßen bis großen Bauch aufweisen, ihr Risiko für Infarkte erhöhen.
Habituierende
Während das Gehirn von Nicht-Habituierenden dauerhaft hoch-reaktiv bleibt, geht das Gehirn der Habituierenden etwas entspannter vor – es gewöhnt sich sozusagen an den chronischen Stress und wird langfristig niedrig-reaktiv. So vermeiden Habituierende die oben genannten Folgen des überwachen Gehirnzustands. Na das ist doch prima! Wären wir nur alle Habituierende! Leider zu früh gefreut. Denn es gibt auch hier einen Haken: Die niedrige Stressreaktivität schränkt die essentielle Fähigkeit des Körpers ein, genügend Energie für unser Gehirn aus dem Körper ziehen zu können (Brain-Pull). Es muss also eine andere Lösung her! Und diese Lösung liegt unglücklicherweise darin, dass wir mehr Energie aus der Nahrung gewinnen müssen, um dieses Problem zu kompensieren. Ein niedriger Brain-Pull bedeutet aber leider auch, dass der Energieanteil, der unserem Gehirn aus der Nahrung zugeteilt wird, geringer ist. Und so haben Habituierende bei chronischem Stress grundsätzlich ziemlich großen Hunger, um so möglichst die normale Energieversorgung des Gehirns sicherzustellen. Und das führt schließlich zur Akkumulation von subkutanem Fett. Grundsätzlich ist dies nicht schlimm, solange es bei ein paar Pölsterchen bleibt. Doch der ausgeprägte Hunger kann leicht zu Übergewicht und all seinen Begleiterscheinungen führen. Es ist also Vorsicht geboten.
Wir halten fest: Habituierende sind Menschen, die eine wiederholungsinduzierte Abschwächung ihrer Stressantwort zeigen. Nicht-Habituierende hingegen zeigen keine derartige Modifikation.
Sollte ich Stress also grundsätzlich vermeiden?
Ein Auszug aus dem Tagesspiegel, in dem sich auch Prof. Dr. Gerald Hüther – ein in meinen Augen inspirierender Mensch, erfolgreicher Neurobiologe und Autor – zu diesem Thema äußert, beantwortet diese Frage recht treffend:
„Stress bedeutet zunächst einmal nicht mehr, als dass der Körper in der Folge einer wahrgenommenen Belastung besonders leistungsbereit ist – eine Mobilisierung, die nicht nur bei einer Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit nützlich ist. Ohne Stress würden wir uns gar nicht weiterentwickeln. Belastung stärkt, Belastung stählt. Ein Immunsystem, das immer nur geschont wird, weiß nicht, wie es Angriffe abwehren soll. Wer keine Rückschläge erleidet, keine Krisen meistert, kann nicht über sich hinauswachsen und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten entwickeln. Kurz: Wer keinen Stress erlebt, hält nichts aus.“
Natürlich gilt dies nicht für chronischen Stress. Denn dieser hat neben den oben genannten Aspekten noch wesentlich mehr negative Auswirkungen auf uns – wie zum Beispiel Einschlafprobleme bzw. Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten, Schwächung des Immunsystems oder letztlich das bekannte Burn-Out-Syndrom. Ihr solltet chronischen Stress also unbedingt vermeiden! Denn ohne Eure Gesundheit ist alles nichts.
Was heißt das nun?
Glücklicherweise gibt es Wege, um Euren Stress abzubauen bzw. Euren Umgang mit Stress (Stressreaktion) zu verbessern . Ein effektives Mittel ist Sport von moderater Intensität. Zum Beispiel Schwimmen, Joggen, Fahrrad fahren oder leichtes Krafttraining. Aber auch Yoga, Tai Chi oder Quigong sind wirkungsvolle Optionen. Meditation ist vor allem in puncto Stressreaktion eine sehr wirksame Maßnahme. Zuletzt gilt es aber auch ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, wie ich mein Leben so gestalte, dass Stress lediglich temporär und nicht dauerhaft vorherrscht. Auch wenn diese Dimension am wenigsten kontrollierbar ist, weil sie weniger von Euch selbst als von äußeren, teilweise unveränderbaren, Faktoren abhängt.
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Quellen:
- Ernährungsmedizin, Biesalski, H. K. et al. (2018)
- Neuropsychotherapie, Grawe, K. (2004)
- Mythos Übergewicht – Warum dicke Menschen länger leben, Achim, P. (2013)
- Hippocampal damage associated with prolonged glucocorticoid exposure in primates, Sapolsky, R. M. et al. (1990)