Unser Gehirn ist ein wahres Wunderwerk. Es lässt uns Probleme lösen, Erinnerungen speichern und kreativ sein. Doch es kann uns auch herausfordern, wenn unsere Gedanken uns blockieren oder in Dauerschleifen gefangen halten.
Die egoistische Natur des Gehirns
Um zu begreifen, wie chronischer Stress unseren Körper beeinflusst, lohnt sich ein Blick auf die Energieversorgung des Gehirns. Obwohl es nur 2 % unserer Körpermasse ausmacht, verbraucht es rund 20 % der verfügbaren Energie. Dabei bevorzugt es Glucose als Hauptenergiequelle, kann aber auch auf Ketonkörper ausweichen, wenn Kohlenhydrate fehlen. Sollte das nicht ausreichen, greift der Körper zur Gluconeogenese, um aus Proteinen Glucose herzustellen.
Dieser Mechanismus, bekannt als Brain-Pull, stellt sicher, dass das Gehirn immer Vorrang bei der Energieversorgung hat – selbst wenn andere Organe darunter leiden. Das bedeutet, dass das Gehirn auch in stressigen Zeiten oder bei einem Energiemangel bevorzugt mit Glucose oder Ketonkörpern versorgt wird, während andere Körperfunktionen zurückgestellt werden.
Diese „egoistische“ Eigenschaft des Gehirns ist gut erforscht und wird als Selfish-Brain-Theorie bezeichnet, die durch zahlreiche wissenschaftliche Studien gestützt wird.
Stress als Reaktion auf Unsicherheit
Stress entsteht, wenn wir nicht sicher abschätzen können, wie wir unser Wohlbefinden aufrechterhalten. Neurowissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass unser Gehirn bestrebt ist, Unsicherheit zu minimieren, um den Organismus zu schützen. Diese sogenannte prädiktive Codierung hilft uns, Vorhersagen zu treffen und Sicherheit zu gewinnen.
Doch wenn Ungewissheit länger anhält, beispielsweise durch berufliche oder finanzielle Sorgen, setzt sich unser Gehirn in einen dauerhaften Alarmzustand, was sich erheblich auf unseren Energiehaushalt und unser Ernährungsverhalten auswirkt.
Wie das Gehirn mit chronischem Stress umgeht
Die Forschung unterscheidet zwei Typen von Menschen im Umgang mit chronischem Stress: Nicht-Habituierende und Habituierende.
➡️ Nicht-Habituierende
Das Gehirn bleibt bei anhaltendem Stress dauerhaft in einem hochaktiven Zustand. Dies führt zu einem erhöhten Energieverbrauch und körperlichen Anpassungen wie erhöhtem Blutdruck und Fettabbau in Armen und Beinen. Gleichzeitig wird viszerales Bauchfett vermehrt gespeichert, was das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht. Betroffene fühlen sich oft dauerhaft angespannt und erschöpft.
➡️ Habituierende
Das Gehirn gewöhnt sich an den Stress und reagiert langfristig weniger intensiv. Dadurch wird jedoch die Fähigkeit des Körpers, Energie für das Gehirn zu mobilisieren, eingeschränkt. Um dies zu kompensieren, steigt der Hunger, was langfristig zu Gewichtszunahme und erhöhter Fettansammlung führen kann. Viele erleben Heißhungerattacken und Schwierigkeiten bei der Gewichtskontrolle.
Sollte Stress grundsätzlich vermieden werden?
Stress ist nicht per se negativ. Er kann uns antreiben und uns helfen, uns weiterzuentwickeln. Experten wie Prof. Dr. Gerald Hüther betonen, dass Herausforderungen unser Immunsystem und unsere Widerstandskraft stärken.
Problematisch wird es jedoch bei chronischem Stress, der zu Schlafstörungen, Konzentrationsproblemen und Burnout führen kann.
Strategien zum Stressabbau
Glücklicherweise gibt es zahlreiche Möglichkeiten, um Stress zu reduzieren und eine gesunde Stressreaktion zu fördern:
➡️ Sportliche Aktivität: Moderater Sport wie Schwimmen, Joggen oder Krafttraining hilft, Stresshormone abzubauen.
➡️ Entspannungstechniken: Yoga, Tai Chi und Meditation sind bewährte Methoden zur Stressreduktion.
➡️ Bewusstes Leben: Ein gesundes Gleichgewicht zwischen Herausforderungen und Erholung ist entscheidend, um chronischen Stress zu vermeiden.
Stress beeinflusst unser Ernährungsverhalten und unseren Körper auf vielfältige Weise.
Ein bewusster Umgang mit Stress und gezielte Maßnahmen zur Reduktion können helfen, langfristige gesundheitliche Folgen zu vermeiden.
Quellen:
- Biesalski, H. K. et al. (2018). Ernährungsmedizin.
- Grawe, K. (2004). Neuropsychotherapie.
- Achim, P. (2013). Mythos Übergewicht – Warum dicke Menschen länger leben.
- Sapolsky RM, Uno H, Rebert CS, Finch CE. Hippocampal damage associated with prolonged glucocorticoid exposure in primates. J Neurosci. 1990 Sep;10(9):2897-902. doi: 10.1523/JNEUROSCI.10-09-02897.1990. PMID: 2398367; PMCID: PMC6570248.